Keine Rechtssicherheit

Die neue Erlaubnisnorm zur Videoüberwachung in öffentlichen Räumen

In der Nacht vom 8. auf den 9. März 2017 trifft der Bundestag eine – wenn auch demokratisch mehrheitliche, so doch im Ergebnis rechtlich einsame – Entscheidung, als er irgendwann zwischen zehn vor und zwanzig nach zwölf die Annahme des Videoüberwachungsverbesserungsgesetzes beschließt1.

Dass Videoüberwachung als Heilmittel gegen unerlaubte Handlungen angesehen wird, ist der psychologischen Tatsache, dass derjenige, dessen Handlungen beobachtet werden, weniger unmoralisch handelt, geschuldet. Dass sie auch den wohl vielen innewohnenden voyeuristischen Trieben Befriedigung verschafft, ist dabei Gegenstand einer anderen Fachrichtung.

§ 6b BDSG versucht im Wesentlichen auf Basis der Art. 1, 2, 12 GG einen rechtlichen Ausgleich zwischen Beobachter und Beobachtetem (hier und im Folgenden ist damit die der Beobachtung ausgesetzte natürliche Person gemeint). Es gestattet ersterem die Videoüberwachung im Bereich öffentlich zugänglicher Räume bei Erforderlichkeit, insbesondere zur Wahrnehmung des Hausrechts, und bei berechtigten Interessen für konkret festgelegte Zwecke genau dann, wenn bei letzteren keine schutzwürdigen Interessen überwiegen. Denn Videoüberwachung – gleich ob Beobachtung oder Aufzeichnung – bleibt eine Zumutung2, die besonderer Begründung bedarf. Die lex specialis entsprang nach der Jahrtausendwende der Feststellung, dass die seinerzeit bereits als weit verbreitet geltende Nutzung von Videoüberwachung einer expliziten gesetzlichen Regelung bedürfe3.

Offen ließ der Gesetzgeber bisher, was berechtigte Interessen für konkret festgelegte Zwecke seien, und zwang dadurch den Beobachter regelmäßig zum vorab zu dokumentierenden Nachweis seines berechtigten Interesses und der Abwägung dieses gegen die schutzwürdigen Interessen des Beobachteten. Auch die Prüfung, ob nicht weniger grundrechtsinvasive Techniken anstelle der optischen Beobachtung die Berechtigung des Interesses des Beobachters an der Videoüberwachung zunichte machen, ist seither notwendig.

Nunmehr soll als besonders wichtiges Interesse – also insbesondere wohl berechtigtes Interesse4der Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit des Beobachteten gelten, sofern er sich auf großflächigen Anlagen, wie insbesondere Sport-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren oder Parkplätzen, oder Fahrzeugen und öffentlich zugänglichen großflächigen Einrichtungen des öffentlichen Schienen-, Schiffs- und Busverkehrs aufhält. Die Formulierung reduziert im Verhältnis das schutzwürdige Interesse des Beobachteten, was im Hinblick auf Grundrechte wie Leben, Gesundheit oder Freiheit angemessen erscheinen mag, auch wenn Freiheit hier wohl etwas an Bedeutung einbüßen muss. Dies wird ebenso vom Gesetzgeber gesehen, der die Verbrechen des islamistisch motivierten Sprengstoffanschlags am 24.06.2016 in Anspach und des Amoklaufs eines Schülers am 22.07.2016 in München stellvertretend als Gesetzesbegründung nennt5. Fraglich bleibt indes, ob Videoüberwachung auf Täter eine tatverhindernde Wirkung hat. Dies zumindest bezweifelte Caspar insbesondere dann, wenn nur eine Videoaufzeichnung und keine Videobeobachtung stattfindet6. Nur durch eine laufende Beobachtung der Videoüberwachung durch Personen ist ein zeitnahes Eingreifen in Geschehnisse möglich. Der Gesetzgeber bleibt indes eine Begründung schuldig, warum er diese nachvollziehbaren Zweifel nicht teilt, vielmehr sieht er eine Erleichterung der Ermittlungsbehörden bei der späteren Aufklärung der Tat7. Dies mag nachvollziehbar sein. Zumindest ist es Praxis, denn auch dem Verfasser ist aus eigener Tätigkeit bekannt, dass sich Anfragen der Ermittlungsbehörden zur Herausgabe von Videoaufzeichnungen zur Aufklärung auch einfacher Diebstähle oder von Verkehrsunfällen mit leichten Blechschäden häufen.

Die Gesetzesänderung verpflichtet jedoch nicht zum Betrieb einer Videoüberwachung, sie erleichtert diese nur unter der Prämisse des Schutzes von Leben, Gesundheit oder Freiheit8. Wobei dies insbesondere nur bei einer Videobeobachtung durch geschultes Personal gegeben wäre, welches zeitnah eingreifen könnte, und ansonsten fraglich bleibt. Der Zugriff der Ermittlungsbehörden auf die Videoaufzeichnung ist indes nicht erleichtert9. Sofern sich der Betreiber einer Videoüberwachung auf den neuen Erlaubnistatbestand beruft und mit einer präventiven Sicherheitserhöhung – wie in der Gesetzesbegründung impliziert – wirbt, wird er möglicherweise aber auch eine entsprechende Pflichtverletzung eher zu vertreten haben.

Die Kosten, die der Wirtschaft durch den Erfüllungsaufwand entstehen, sind zudem mindestens unvollständig in der Gesetzesbegründung benannt10. Knapp die Hälfte aller Videoüberwachung ist in den Augen des Gesetzgebers bereits von verantwortlichen Stellen installiert, für die auch die neue Erlaubnisnorm greift. Hier rechnet er mit jährlich zusätzlichen 3.100 Kameras (20%), welche die Wirtschaft aufgrund der Gesetzesänderung ergänzend installieren wird. Die Zahl resultiert aus Annahmen, die nicht weiter erläutert werden und entzieht sich damit einer Prüfung. Die Kosten für die Wirtschaft werden mit knapp 141.900 Euro jährlich angegeben. Tatsächlich ist in den Kosten nur der Verwaltungsaufwand zur Kennzeichnung der Videoüberwachung gemäß § 6b Abs. 2 BDSG berücksichtigt; Kosten der Anschaffung, des Betriebs, der Wartung der Videoüberwachung und der Übermittlung sind nicht enthalten, dürften jedoch ungleich höher ausfallen.

Das Videoüberwachungsverbesserungsgesetz ändert den existierenden § 6b BDSG in seiner bisherigen Form. Das BDSG würde jedoch mit Anwendung der DSGVO ab dem 25.05.2018 teilweise obsolet. Ergänzend zur DSGVO soll deshalb ein neues BDSG11 treten, welches das bisherige ersetzt. Die Formulierung des Videoüberwachungsverbesserungsgesetzes findet sich dort in § 4 BDSG-E, welchem der Bundesrat in seiner Sitzung am 12.05.2017 beschließend zugestimmt hat12.

Der Bundesrat schlägt zudem eine Erweiterung der Erlaubnisnorm auf den Schutz vor Gefahren für Fahrzeuge und öffentlich zugängliche großflächige Einrichtungen des öffentlichen Schienen-, Schiffs- und Busverkehrs und für dort befindliche Sachen vor13, dies im Hinblick auf eine Angleichung an § 27 BPolG14. Dass dabei gerade nicht übersehen wird, dass BDSG und BPolG unterschiedliche Aufgabenträger adressiert, ist gleichermaßen überraschend wie erschreckend. Hier böte sich die Beleihung an, dass BDSG ist hierfür ungeeignet; so auch Caspar15; gegenteiliger Auffassung ist Bull16. Auch die Argumentation des Bundesrates, Videoüberwachung könne das subjektive Sicherheitsempfinden erhöhen17, ist verfehlt: Maßstab muss die objektive Sicherheit sein18.

Eine nationale gesetzliche Regelung neben der DSGVO ist jedoch nur rechtsgültig, wenn die DSGVO eine entsprechende Öffnungsklausel für eine nationale Regelung vorsehen würde. Eine solche ist jedoch nicht erkennbar. Für Pilz ist zwar die Schwelle zur Rechtswidrigkeit des § 4 BDSG-E im Anwendungsbereich der DSGVO noch nicht überschritten, jedoch die freie Interessenabwägung gefährdet19. Anders Caspar, der eine Rechtswidrigkeit erkennt20. Dass zudem Aufsichtsbehörden Normen des BDSG-E unangewendet lassen könnten, gibt Pilz zu bedenken21. Fraglich ist jedoch, ob Aufsichtsbehörden Möglichkeiten sehen, bestehende deutsche Rechtsnormen unangewendet zu lassen und die Verwaltungsbehörde sodann ein Bußgeldverfahren einleitet. Förderlich für die Rechtssicherheit wäre dies, wenn sich die datenverarbeitende Stelle sodann gerichtlich dagegen wendet. Insofern steht die Anwendung der neuen Erlaubnisnorm zur Videoüberwachung spätestens ab dem 25.05.2018 auf juristisch wackligen Beinen.

Möglicherweise wäre also ab dem 25.05.2018 eine nur auf die neue Erlaubnisnorm gestützte Videoüberwachung wieder zurückzubauen. Ein Bestandsschutz besteht jedenfalls nicht; der Kaufmann dürfte also mit entsprechenden Investitionen zurückhaltend agieren. Hilfreich und abzuwarten wäre insofern eine Stellungnahme der Artikel-29-Gruppe (bzw. zukünftig von dem europäischen Datenschutzausschuss) oder sogar eine Entscheidung in der Sache durch den EuGH.

[1] BT-Drs. 18/11435.

[2] BT-Drs. 14/5793, S. 56.

[3] BR-Drs. 461/00, S. 92; BT-Drs. 14/4329 S. 38.

[4] BT-Drs. 18/10941, S. 10.

[5] BT-Drs. 18/10941, S. 2.

[6] Caspar, Johannes (2011): 23. Tätigkeitsbericht Datenschutz des Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit zugleich Tätigkeitsbericht der Aufsichtsbehörde für den nicht-öffentlichen Bereich 2010 / 2011, S. 142 ff. URL:https://www.datenschutz-hamburg.de/fileadmin/user_upload/documents/23._Taetigkeitsbericht_Datenschutz_2010-2011.pdf [abgerufen am 13.04.2017].

[7] BT-Drs. 18/10941, S. 1 ff.

[8] BT-Drs. 18/10941, S. 10.

[9] BT-Drs. 18/10941, S. 10.

[10] BT-Drs. 18/10941, S. 3.

[11] BT-Drs. 18/11325.

[12] BR-Drs. 332/17.

[13] BR-Drs. 110/17, S. 8.

[14] BR-Drs. 110/17, S. 9.

[15] BT Innenausschuss Drs. 18(4)785 F, S. 13.

[16] BT Innenausschuss Drs. 18(4)785 B, S. 3.

[17] BR-Drs. 110/17, S. 9.

[18] Zum Unterschied: BT Innenausschuss Drs. 18(4)785 C, S. 1 ff.

[19] BT Innenausschuss Drs. 18(4)824 C, S. 16.

[20] BT Innenausschuss Drs. 18(4)785 F, S. 9.

[21] BT Innenausschuss Drs. 18(4)824 C, S. 10 f.

 

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